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BGH zum sexuellen Übergriff: Die Anforderungen an die „schutzlose Lage“

Der §177 des Strafgesetzbuches (StGB) regelt den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung und die Vergewaltigung. In §177 Abs. 5 Nr. 3 StGB heißt es weiter: „Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.“ Wer die schutzlose Lage eines Opfers für sexuelle Handlungen ausnutzt, macht sich also eines sexuellen Übergriffs strafbar. Und mit eben jener Schutzlosigkeit des Opfers hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) in dem vorliegenden Beschluss vom 1. Juni 2020 (Az. 2 StR 678/19) ein weiteres Mal beschäftigt.

Der konkrete Fall

Konkret ging es in dem Fall um einen Mann, der zwei Mädchen sexuell missbrauchte. In einem Fall lockte er das sechsjährige Kind auf ein verlassenes Gelände und berührte es. Im anderen Fall bedrohte er das achtjährige Opfer mit dem Tod, führte es in eine Ruine und zwang es zu sexuellen Handlungen.

Das Landgericht Halle verurteilte den Mann daraufhin zu drei Jahren Haft wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach §176 StGB, einmal in Tateinheit mit sexuellem Übergriff, einmal in Tateinheit mit sexueller Nötigung.

Die Staatsanwaltschaft kritisierte, dass der Mann nicht zusätzlich wegen sexuellen Übergriffs nach §177 Abs. 5 Nr. 3 verurteilt worden war (s.oben). Gegen dieses Urteil legten Staatsanwaltschaft und Nebenklage daher Revision ein, so dass sich der BGH noch einmal mit dem Fall befasst hatte.

BGH: Es kommt auf objektive Sicht an

Für diesen stellt sich hier die Frage, ob das Opfer seine Lage überhaupt selbst als eine solche schutzlose Lage erkennen muss.

Das Landgericht lehnt in seinem Urteil das Vorliegen einer schutzlosen Lage in beiden Fällen ab. Das geschädigte Kind des ersten Falles habe keine Kenntnis von seiner schutzlosen Lage gehabt. Im zweiten Fall wäre es nicht zu einer auf der schutzlosen Lage beruhenden Willensbeugung des Kindes gekommen.

Der BGH kritisiert diese Auffassung des Landgerichts dahingehend, dass dieses den Tatbestand im ersten Fall zu eng ausgelegt hatte. Wenn das Opfer dem Täter so ausgeliefert ist, dass es in seinen Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt ist, liegt bereits eine Ausnutzung vor – auch ohne erkennbare Angst oder Willensbeugung. Für das Vorliegen einer schutzlosen Lage sei nicht entscheidend, dass das Opfer diese subjektiv wahrnimmt, also selbst erkennt, sondern ob die Lage objektiv als schutzlos zu bewerten ist.

Was gilt objektiv als „schutzlose Lage“?

Der BGH betont in seinem Beschluss, dass es für die Bewertung, wann objektiv eine solche Lage gegeben ist, maßgeblich auf die Gegebenheit des Einzelfalls ankommt. Einzelne Aspekte wie Zeit und Ort der Tat oder das Alter des Opfers können allenfalls Indizien darstellen, sind jedoch nicht entscheidend für die Bewertung.
Auch muss das Opfer nicht zwingend völlig hilflos sein.

Entscheidend ist, dass der Täter die Schutzlosigkeit des Opfers in seiner Lage erkennt und diese gezielt für sexuelle Handlungen ausnutzt.

Das vorangegangen Urteil des Landgerichts wurde daher vom BGH aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts verwiesen. Bislang gibt es jedoch noch keine erneute Entscheidung in dem Fall.

Quelle: rechtsanwalt-axmann.de, NWB Datenbank

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