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BVerfG zur strafrechtlichen Wiederaufnahme nach EMRK-Verstoß

Das Bundesverfassungsgericht entschied: An einen Antrag auf Wiederaufnahme nach festgestelltem Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dürfen keine unmöglichen Anforderungen gestellt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde einer Frau, die zuvor zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt wurde, stattgegeben. Den entsprechenden Beschluss vom 04.Dezember 2023 hat das Bundesverfassungsgericht am 26.01.2024 veröffentlicht. (Az.: 2 BvR 1699/22)

Obwohl der EGMR zuvor die Befangenheit eines an ihrer Verurteilung beteiligten Richters festgestellt hatte, war der Beschwerdeführerin vom Oberlandesgericht (OLG) in Frankfurt am Main die Wiederaufnahme des Strafprozesses verwehrt worden. §359 Nr.6 der Strafprozessordnung (StPO) sieht die Wiederaufnahme eines Mordprozesses explizit vor, wenn das Strafurteil auf einem durch den EGMR festgestellten Verstoß beruht. Dies hatte der Strafverteidiger der Beschwerdeführerin sogar herangezogen. Nach Bundesverfassungsgericht stellte nun fest, dass die Beschwerdeführerin mit der Ablehnung des Wiederaufnahmegesuchs durch das OLG in ihrem allgemeinen Justizgewährungsanspruch aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.20 Abs.3 Grundgesetz (GG) verletzt wurde.

Für große Aufmerksamkeit hatte zuletzt ein Strafverfahren gesorgt, indem eine Frau (M.) 2014 als Mittäterin wegen Mordes aus Habgier an ihrem Ex-Mann vom Landgericht Darmstadt zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Bei der Entscheidung des Landgerichts hatte jedoch ein Richter mitgewirkt, der schon zuvor an einem dieselben Tat betreffenden Verfahren gegen den damals als Alleintäter wegen Mordes verurteilten Lebensgefährten der M beteiligt gewesen war. Zunächst kam M nur als Zeugin in Betracht, obwohl es im Urteil diverse Hinweise auf eine mögliche Tatbeteiligung dieser gab. Jedoch mussten M und ihr Strafverteidiger erst zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, der im Februar 2021 einen Verstoß gegen Art.6 Abs.1 EMRK wegen der Beteiligung des Richters konstatierte. Zuletzt lehnte das OLG eine Wiederaufnahme auf Grundlage von §306 StPO ab. Dieses Strafverfahren sei wohl auch der Hintergrund des oben genannten Karlsruher Beschlusses.

Wiederaufnahmegrund: §359 Nr.6 StPO

Ein Wiederaufnahmeantrag gemäß §359 Nr.6 StPO ist möglich, soweit das Strafurteil auf einer Verletzung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Konvention zum Schutze der Menschenrechte beruht. Wichtig ist dabei, dass sich die Konventionsverletzung unmittelbar auf das Urteil ausgewirkt hat.

Das OLG forderte die Darlegung, dass sich im Urteil gegen die Beschwerdeführerin Hinweise für eine Begründung der Besorgnis bezüglich der Befangenheit des Richters gefunden hätten. Dies sei aber laut BVerfG unerfüllbar und unzumutbar gewesen. Folglich sei ihr das Wiederaufnahmegesuch in einer weise verwehrt worden,’’ die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.’’ Den vom EGMR festgestellten Verstoß verkenne das OLG nicht nur dahingehend, dass möglicherweise ein voreingenommener Richter an der Verurteilung der M beteiligt gewesen sei. Vielmehr habe ein tatsächlich voreingenommener Richter unmittelbar an dem gegen die M geführten Verfahren mitgewirkt, bezüglich dessen Unvoreingenommenheit bei objektiver Betrachtung aus Sicht der M gerechtfertigte Zweifel bestanden. Nach Auffassung des BVerfG wirkte sich die Einflussnahme dieses Richters im gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren aus. Unzumutbar ist außerdem die vom Generalbundesanwalt für möglich angesehene Darstellung, dass ,,ein anderer Richter bei einer rational begründeten Entscheidungsfindung aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung auch zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.’’ Eine solche Annahme sei mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG als Sicherung der Rechtsstaatlichkeit im gesetzlichen Verfahren nicht vereinbar.

Erste Reaktionen aus der Strafrechtswissenschaft

Bereits kurz nach der Veröffentlichung des Beschlusses gab es erste Reaktionen aus der Strafrechtswissenschaft. Mit einer restriktiven Auslegung des Wiederaufnahmegrundes in §359 Nr.6 StPO sei das Bundesverfassungsgericht mit klaren Worten der deutschen Strafjustiz entgegengetreten. Auch um das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Rechtssystem langfristig zu sichern, sei das strafprozessuale Befangenheitsrecht in seiner Funktion, die objektive Unparteilichkeit des gesetzlichen Richters zu gewährleisten von elementarer Bedeutung, so Morten Boe vom Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht.

Quellen: BVerfG, Beschluss vom 04.12.2023 - 1 BvR 1699/22 ; rsw.beck.de; lto.de

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