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Der §177 StGB - Voraussetzungen und Neuregelung

Der §177 StGB ist wohl einer der bedeutendsten Straftatbestände im Rahmen des Sexualstrafrechts – wenn nicht sogar der bedeutendste Straftatbestand. Er regelt nicht nur die Vergewaltigung, sondern auch die Fälle des sexuellen Übergriffs, so wie der sexuellen Nötigung. Kein Wunder also, dass er immer wieder ein hohes Diskussionspotenzial bietet. Vor allem die Tatbestandsmerkmale des „erkennbaren Willens“ gemäß §177 Abs. 1 StGB, sowie der Begriff des „Überraschungsmoments“ gemäß §177 Abs. 2 StGB sind umstritten.

„Nein heißt Nein“ - Die Neuregelung 2016

Besondere Aufmerksamkeit hat in diesem Zusammenhang die Neuregelung des §177 StGB im Jahre 2016 verdient. Art. 36 der Instanbul-Konvention verlangte die Bestrafung jedes nicht einverständlichen Sexualkontakts und gab damit den Anstoß zur Reform. Die Umsetzung dessen im deutschen Sexualstrafrecht brachte eine hohe Anzahl an Diskussionen mit sich, wozu vor allem auch die „Kölner Silvesternacht“ im Jahr 2015 beitrug. Ziel war es, die Ahndung sexueller Gewalt zu erleichtern.
In weiteren Beratungen setzte sich ein Kompromissvorschlag durch, der den §177 StGB grundlegend umgestaltete. Grundtatbestand ist seither der sexuelle Übergriff gegen den Willen einer anderen Person. Es genügt also, dass der Täter gegen den erkennbaren Willen i.S.d. §177 Abs. 1 StGB des Opfers einen sexuellen Übergriff vornimmt. Damit ist hier die sogenannte „Nein heißt Nein“-Formel einschlägig. Diese findet auch bei der Vergewaltigung gemäß §177 Abs. 6 StGB Anwendung, so dass die Handlung dann strafbar ist, soweit diese dem erkennbaren Willen des Opfers entgegensteht.
Eine Nötigungshandlung und dass Widerstand durch das Opfer geleistet werden muss, wird tatbestandlich nicht mehr verlangt. Diese Voraussetzungen warfen oft Strafbarkeitslücken auf.

Doch darüber, ob durch die Reform das Ziel der einfacheren Ahndung erreicht ist, können wohl noch keine eindeutigen Aussagen getroffen werden. Schwierigkeiten ergeben sich vor allem in der praktischen Anwendung. So zum Beispiel bei der Ermittlung des Vorliegens eines Einverständnisses, sowie der Frage, was man in diesem Zusammenhang alles bedenken muss und in die Normgestaltung mit einfließen lassen sollte. Dies wird sich wohl erst nach und nach ergeben, wobei die Rechtsprechung mit der Gesetzesanwendung weitere Indizien liefern wird.

Die weiteren Voraussetzungen des §177 StGB

In §177 Abs. 1 StGB heißt es „Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft“.

Aus dem Wortlaut des §177 Abs. 1 StGB geht also deutlich hervor, dass der Tatbestand einen „erkennbaren Willen" voraussetzt, der die vom Täter selbst vorgenommenen oder veranlassten sexuellen Handlungen ablehnt. Diese Voraussetzung bringt, wie oben angedeutet, in der Praxis vor allem unter Beweiswürdigungsgesichtspunkten erhebliche Probleme mit sich. Ein „Nein“ muss auch genauso als „Nein“ interpretiert werden können, so wie ein „Ja“ als „Ja“. Der §177 Abs. 1 StGB würde also nicht lediglich durch Vornahme sexueller Handlungen an einem „willenlosen“ Opfer erfüllt werden.

Von vornherein abzulehnen ist dieser erkennbare Wille trotzdem vor allem bei Personen, die unfähig sind, einen solchen Willens i.S.d. §177 StGB zu bilden. Dieser Annahme wird dafür der zweite Absatz des §177 StGB in seinen Nummern 1 und 2 gerecht, in denen es heißt:

„Ebenso wird bestraft wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt (…)  wenn der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern (Nr. 1) oder wenn der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist (Nr.2)“

Hier wird dem Täter also - anders als im ersten Absatz - gerade das Ausnutzen der Unfähigkeit des Tatopfers zur Willensbildung vorgeworfen. Insbesondere werden hier von geistig, sowie körperlich behinderten Menschen geachtet. Nach §177 Abs. 2 StGB macht sich aber auch strafbar, wer ein „Überraschungsmoment ausnutzt“ (Nr. 3), wer „eine Lage ausnutzt, wonach dem Opfer (…) ein empfindliches Übel droht“ (Nr. 4) oder wer „durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt“ (Nr. 5). Durch diese ergänzenden Tatbestandsvarianten des §177 Abs. 2 StGB werden zwar wohl immer noch nicht alle relevanten Fallkonstellationen erfasst werden können, aber dennoch potenzielle Strafbarkeitslücken des §177 Abs. 1 StGB zumindest teilweise gesetzgeberisch vorgebeugt.

In diesem Zusammenhang bietet es sich an, noch einmal gesondert auf die Erkennbarkeit des Willens einzugehen. Diese ist aus der Sicht eines „objektiven Dritten“ zu bestimmen. So zum Beispiel bei Gewalt und Drohung. Dabei ergibt sich die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens für einen neutralen Beobachter schon daraus, dass der Täter die Willensbarriere des Opfers mit eben jener Gewalt oder Drohung durchbrechen muss.

Der entgegenstehende Wille muss also für jedermann erkennbar sein. So vor allem in den Fällen, in denen sich das Tatopfer nicht erkennbar ablehnend gegenüber dem Täter verhält. Das Tatopfer muss also seinen entgegenstehenden Wilen gegenüber dem Täter offen kommunizieren. Diesen Schutz verdient jedoch nicht derjenige, der – obwohl das Opfer seinen Willen nicht offen zu erkennen gibt, Kenntnis von dessen entgegenstehenden Willen hat. So soll also nur der gutgläubige Täter geschützt werden.

Des Weiteren verlangt der §177 Abs. 1 StGB eine „sexuelle Handlung“.

Eher unproblematisch erscheint dabei die 1. Variante. Die „Vornahme sexueller Handlungen“ an einer Person setzt zunächst unmittelbaren Körperkontakt voraus. So muss der Körper des Tatopfers durch den Täter in der Weise berührt sein, dass dieser Kontakt in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der sexuellen Handlung steht und einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Etwas schwieriger gestalten sich die Voraussetzungen der 2. Variante, bei der der Täter die sexuellen Handlungen vom Opfer selbst „vornehmen lässt“. Der Wortlaut des Gesetzes ist erscheint hier eher „schwammig“. Erforderlich ist wohl aber, dass der Täter in irgendeiner Weise auf das Opfer einwirkt. Jedoch ist nicht vorausgesetzt, dass das Opfer die sexuelle Handlung an dem Täter oder an sich selbst vornimmt, so dass auch sogenannte „Hands-off“-Delikte vom Tatbestand erfasst sind.

Quellen: revision-strafrecht.com, openjur.de, kripoz.de, Schönke/Schröder Strafgesetzbuch 30. Auflage 2019, NJW 2016, 3553: “Nein! Das neue Sexualstrafrecht”

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