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Endlich eine Entscheidung im Sexsomnia-Prozess: Ex-Staatsanwalt wird wegen Vergewaltigung und Missbrauch an seinem Sohn verurteilt

Weil er seinen damals achtjährigen Sohn sexuell missbrauchte, musste sich der ehemalige Staatsanwalt vor dem Landgericht in Lübeck wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung verantworten. Nun gibt es endlich eine Entscheidung. Am Mittwoch, den 14.02.2024 wurde der 52 Jährige nun wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt.
Die Schwierigkeiten des Falls
Die Schwierigkeiten des Falls bestanden nicht, wie so oft, in der Beweisbarkeit der vorgeworfenen Tat. Der Jurist zeigte sich 2019 selbst an und gestand die Tat, die sich am 26. März 2019 zutrug. Er behauptete jedoch - bedingt durch sein Leiden an Sexsomnia - schuldlos gehandelt zu haben. Somit ging es um die Frage der Schuld, beziehungsweise der Schuldunfähigkeit des Angeklagten i.S.d. §20 StGB.
„Sexsomnia“ ist eine seit 1996 wissenschaftlich beschriebene Schlafstörung, bei der sexuelle Handlungen im Schlaf vorgenommen werden. Sie wird strafrechtlich als tiefgreifende Bewusstseinsstörung eingestuft. Die Betroffenen erinnern sich nach dem Aufwachen nicht mehr an ihre Handlungen. Wie auch hier. Als seine Ehefrau den Angeklagten am nächsten Morgen mit den Vorwürfen konfrontierte, konnte er sich nicht mehr an den Vorfall erinnern.
Der Verfahrensgang
Gestützt auf die Annahme, dass ein tatsächliches Leiden an Sexsomnia vorliege, wurde das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft im März 2020 zunächst eingestellt. Wegen der fehlenden Steuerungsfähigkeit entfällt deshalb gemäß §20 StGB die Schuldfähigkeit für Taten, die im unbewussten Zustand begangen wurden. Demnach wäre der Mann im strafrechtlichen Sinne unschuldig.
Erst nach einem erfolgreichen Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht musste die Staatsanwaltschaft doch Anklage wegen schweren sexuellen Missbrauchs erheben. Ein solches Klageerzwingungsverfahren hat in der Praxis nur sehr selten Erfolg. Dass es in dem vorliegenden Fall letztendlich doch zu einer Klage geführt hat, ist wohl vor allem der Hartnäckigkeit der nun Ex-Frau des Angeklagten, sprich der Mutter des Kindes zu verdanken.
Vorgetäuschte Sexsomnia?
Dem Angeklagten konnte jedenfalls nachgewiesen werden, dass dieser Schlafwandler sei. Weswegen die Annahme, dass der Angeklagte ebenso unter Sexsomnia leidet, nicht fern lag. Jedoch gab es im konkreten Fall Hinweise, dass der Beschuldigte ein Leiden unter Sexsomnia nur vortäuschte. In einer früheren Aussage begründete er die angeblichen Erinnerungslücken während des sexuellen Missbrauchs seines Sohnes noch mit übermäßigem Alkoholkonsum. Erst Wochen später kam die Schlafstörung ins Spiel.
Auch die Entlastung durch ein bestelltes Gutachten der Staatsanwaltschaft Kiel hielt nicht lange stand. Das Gutachten sei in entscheidenden Fragen sehr spekulativ und insgesamt wenig tragfähig, so der Anwalt des Kindes. Zweifel erwecken zudem die Zeugenaussagen der Ex-Frau. Diese könne sich an ein solches Verhalten des Beschuldigten, wie beispielsweise Sex im Schlaf in 13 Jahren Ehe nicht einmal erinnern könne. Eine Ex-Lebensgefährtin des Beschuldigten sagte jedoch aus, dass dieser ihr vor vielen Jahren nachts mehrmals sexuell genähert hätte, ihm am nächsten Morgen jedoch jegliche Erinnerungen daran gefehlt haben sollen. Das Ergebnis: Sexsomnia ja, vielleicht aber auch nicht.
Nun endlich eine Entscheidung
Das Landgericht Lübeck lehnte die Behauptungen des Angeklagten nun ab.
Es verurteilte den Vater zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Von der Strafe gelten zudem vier Monate als bereits verbüßt. Zu dem Urteil äußert sich die Vorsitzende Richterin von Lukowicz: "Wir gehen davon aus, dass die Tat als dysfunktionale Bewältigungsstrategie zu verstehen ist". Der Angeklagte habe sich in einer schwierigen Lebenssituation, bedingt durch beruflichen Druck und „Ehekrise“.
Es ist dennoch ein Urteil, das das im Regelfall vorgesehene Mindeststrafmaß des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach §176c StGB von zwei Jahren unterschreitet.
Dazu äußerte sich der Gerichtssprecher und gab an, dass das Gericht nicht den derzeitigen §176c StGB anwandte. Die Norm wurde erst 2021, also zwei Jahre nach Tatbegehung in das Strafgesetzbuch aufgenommen.
Bis zu diesem Jahr wurde der sexuelle Missbrauch an Kindern mit einem Mindestmaß der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren geahndet.
Des Weiteren wurde auch der üblich anzuwendende Strafrahmen bei einer Vergewaltigung in Höhe von zwei Jahren unterschritten. Dazu führt der Gerichtssprecher weiter aus: Der vorliegende Fall stelle sich als eine Ausnahme der Regelvermutung von §177 Abs. 6 StGB, sprich des besonders schweren Falls der sexuellen Nötigung dar. Eine Vergewaltigung würde üblicherweise einen solch schweren Fall darstellen. Jedoch nicht hier. Inwieweit das Landgericht dies begründet, steht noch offen. Es bleibt wohl nur auf die Entscheidungsgründe abzuwarten.
Staatsanwaltschaft legt Revision ein
Sechs Tage nach der Urteilsverkündung, am 20.02.2024 legt die Staatsanwaltschaft Revision ein. Nun wird sich auch der Bundesgerichtshof mit der Frage um die Schuldfähigkeit des Vaters beschäftigen müssen. Sollte er für schuldunfähig erklärt werden, ist er freizusprechen.
Quellen: lto.de, brisant.de, spiegel.de, dpa