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Härtere Sanktionen im Sexualstrafrecht? Die Meinungen gehen auseinander!

Man hört es von vielen Seiten. Der deutschen Justiz wird in jüngster Zeit immer häufiger vorgeworfen, SexualstraftäterIinnen zu milde zu bestrafen. Der Wunsch nach härteren Sanktionen im Sexualstrafrecht steht im Raum. Vor allem seit dem „Stadtpark-Urteil“, über welches wir bereits berichteten, hat sich die Meinung einer „Kuscheljustiz“ auf Social Media ausgeweitet. „Im Namen des Volkes sind solch schwache Urteile schon lange nicht mehr“, schreibt ein User auf der Plattform TikTok. Immer lauter werden also die Stimmen der breiten Bevölkerung, die auf eine Änderung des Sexualstrafrechts hoffen. Doch auch in Fachkreisen hat sich diese Frage zu einem viel umstrittenen Thema entwickelt. Dabei gehen die Meinungen der Juristen und auch Forschern auf diesem Gebiet weit auseinander.

Im Folgenden werden zu diesem Thema zum einen die Thesen von Elisa Hoven (dt. Juristin und Hochschullehrerin) und Frauke Rostalski (dt. Rechtswissenschaftlerin und ebenfalls Hochschullehrerin) vorgestellt. Auf der „anderen Seite“ steht Ralf Köbel (ebenfalls dt. Jurist und Hochschullehrer).

Frau Hoven und Frau Rostalski stellten ihre Thesen am 28. Dezember 2023 in der “Frankfurter Allgemeine” vor. Es sei davon auszugehen, dass die gesellschaftliche Anerkennung der deutschen Gerichte fragil werden wird, soweit die Strafen für sexuelle Übergriffe weiterhin zu lasch bleiben. Dabei stellen sie zentral auf zwei Dinge ab: Es käme in mehreren Urteilen zu zu geringen Strafen. Zudem bedarf es – so wird es zumindest angedeutet, eines „grundlegenden Umdenkens“ der Justiz.

Zu geringe Strafen in Einzelurteilen

Vor einer tiefergehenden Befassung mit diesem Thema, scheint es sinnvoll, einen Blick  in die vorgesehenen Strafen des Sexualstrafrechts selbst zu werfen. Dabei ist die Spanne der Strafen sehr breit gefächert: Es beginnt mit einer bloßen Geldstrafe bei der sexuellen Belästigung und reicht bis zu 15 Jahren Haftstrafe bei schweren Sexualdelikten.

Hoven und Rostalski geht es hier konkret um das angewendete Strafmaß in den aufgeführten Urteilen. In diesen wurde eine deutlich zu niedrige Strafe ausgesprochen, die unter der im Gesetz angedrohten Strafe für das jeweilige Delikt liegt und zudem zur Bewährung ausgesetzt.

Es gebe zwar die Möglichkeit, von der Regelstrafe abweichen, jedoch ließen sich einige TatrichterInnen dabei von falschen Annahmen leiten. So ist beispielsweise die Maxime, dass in Ehen und Partnerschaften eine Vergewaltigung weniger schlimm sei, längst veraltet und folglich die Annahme, auf Grund dieses Umstandes einen lediglich leichten Fall der Sache anzunehmen zu verwerfen. So ordnet auch Art. 46a der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) das Bestehen einer Ehe oder Partnerschaft als strafschärfend ein. Dagegen hält beispielsweise Thomas Fischer (ua. ehem. Vorsitzender Richter am 2. Strafsenat des BGH), der die „länger dauernde intime Beziehung“ ebenfalls als möglichen Grund für einen minder schweren Fall befürwortet.

Doch Hoven und Rostalski halten dagegen und fordern eine Strafe, die sich stetig nach dem Unrecht der Tat selbst ausrichtet. Nur so kann das dem Opfer angetane Unrecht ausreichend sanktioniert werden. Veraltete Vorstellungen, nach denen das Opfer sich eine Mitschuld anrechnen lassen muss, sind abzulehnen. So kann es nicht sein, dass die Strafe wie in einem hier aufgeführten Fall milder ausfiel, weil es die Betroffene unterließ ihren Ehemann entsprechend zu erziehen oder eine Prostituierte als „weniger schutzwürdig“ in Bezug auf Sexualdelikte dastehe.

Empirische Untersuchungen

Eine bundesweite Datenbank, die umfassende statistische Analyse erlauben würden, gibt es bislang nicht. Zur Beantwortung der Frage, ob die durchschnittlichen Strafen unter dem angedrohten Mindestmaß stehen, ist ein Blick auf die Strafverfolgungsstatistik zu werfen. Anhand dieser lässt sich zumindest erkennen, wie oft Gerichte einen minder schweren Fall annehmen. Dabei lässt sich für das Jahr 2021 feststellen: Für dieses Jahr weist die Kriminalstatistik bei diversen Varianten von §177 Strafgesetzbuch (StGB), der den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung und die Vergewaltigung regelt, ganz überwiegend Strafdauern aus dem jeweils unteren Strafrahmendrittel aus. Zudem werde in 45 Prozent aller Urteile wegen Vergewaltigungen niedrigere Strafen verhängt, als das Gesetz für den Regelfall vorsieht.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Vergleich mit anderen Rechtsgebieten zeigt: Das Sexualstrafrecht ist keine Ausnahme. Auch bei Urteilen wegen schweren Raubes ergibt sich ein ähnlicher Wert: In mindestens 43 Prozent der Fälle wurde lediglich ein minder schwerer Fall angenommen.

Kritik: verkürzter Gebrauch der Daten

An dieser Stelle kritisiert Ralf Köbel den verkürzten Gebrauch der Strafzumessungsdaten. Zwar sei die Auswertung korrekt, jedoch beschränke sie sich einzig auf das Jahr 2021 und lediglich auf zwei Vergleichsnormen. Weitet man die Betrachtung auf einen Zeitraum von mehreren Jahren und auf mehrere Delikte mit dem gleichen Strafrahmen aus, so zeigt sich ein differenziertes Bild: Das Strafniveau bei der sexuellen Nötigung entspricht weitgehend dem Strafniveau, welches auch bei Tatbeständen mit der gleichen Strafandrohung angedroht wird, während es bei Vergewaltigungen sogar tendenziell etwas höher liegt. Im Vergleich zu den 1990er und 2000er Jahren zeigt sich zudem eine Verschiebung von sehr kurzen zu mittellangen Freiheitsstrafen bei sexuellen Übergriffen.

Zu bedenken ist jedoch, dass solche Zahlen immer mir etwas Vorsicht zu „genießen“ sind. Diese können durch Änderungen in den Tatbeständen, durch weniger Fälle, durch Veränderung im Anzeigeverhalten und durch die staatsanwaltschaftliche Selektion beeinflusst werden.

Die Lösung: generell höhere Strafen?

Um die Anordnung eines minder schweren Falles nachzuvollziehen, müsste man sich die Begründungen jedes einzelnen Falles anschauen. Eine andere – gegebenenfalls praktikablere Lösung wäre die Einführung von höheren Strafen im Allgemeinen, statt nur die Fehler bei der Bewertung des Einzelfalls zu suchen.

Höhere Strafen im Sexualstrafrecht bedeuten jedoch konsequenterweise auch die Erhöhung der Strafen auf anderen Rechtsgebieten, was weitere Folgen mit sich bringen würde. Ralf Köbel überzeugt diese Lösung auch nicht. Würde man dieser Einforderung einer Anhebung des sexualstrafrechtlichen Sanktionsniveaus nachgehen, so würde dies lediglich für seltene, schwere Fälle eine angemessene Reaktion ermöglichen.

„Im Namen des Volkes“

Zudem kritisiert er die von Hoven betonte „Straferwartung“ der Gesellschaft, das heißt, die Erwartung der Bevölkerung an die Justiz – wie beispielsweise auf Social Media deutlich wird. Weil Sexualdelikten ein besonders gewichtiges Unrecht durch die Allgemeinheit zugesprochen wird, müssten auch die Gerichte entsprechend urteilen.
Köbel hält dagegen. Ob dieses Strafbedürfnis der Menschen überhaupt berücksichtigt werden kann und Einfluss auf die Justiz haben sollte, erscheint fraglich. Der „Volkswille“ sei ungeeignet, um den Wunsch nach einer pauschalen Erhöhung des Tatgewichts bei Sexualdelikten zu begründen. Köbel wirft dazu abschließend die Frage auf: „Sollte auf Basis eines solchen Treibsands wirklich eine "neue" Härte in die Strafpraxis einziehen? Hoffentlich nicht.“

Quellen: lto.de, Zeitschrift "StV – Strafverteidiger", Heft 5, 2024, spiegel.de, faz.net

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