Anwalt für Sexualstrafrecht informiert
Nur eine von zehn Vergewaltigungen wird tatsächlich angezeigt – Doch woran liegt das?

12.297 Fälle von Vergewaltigung und von sexueller Nötigung verzeichnete die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) im vergangenen Jahr 2023. Doch die Dunkelziffer liegt um einiges höher. Denn die PKS erfasst nur solche Fälle, die der Polizei, zum Beispiel durch eine Anzeige bekannt geworden sind. Doch in Fällen der sexualisierten Gewalt, kommt es nur in einem Bruchteil der Fälle tatsächlich zur Anzeige. Laut dem Bundeskriminalamt wird nur eine von zehn Vergewaltigungen angezeigt.
Doch woran liegt das? Dafür gibt es vor allem drei Gründe.
Die Gefühlslage der Betroffenen
Die Gefühle der Betroffenen spielen nach erlebter sexualisierter Gewalt eine große Rolle. Wie sich die betroffene Person fühlt, bestimmt letztlich über den weiteren Verlauf. Die meisten stehen zunächst unter Schock und sind überfordert. Dies führt oftmals zu einer verzerrten Wahrnehmung der Situation. Man kann es als Schutzmechanismus des Körpers sehen, um mit der Situation umzugehen. Oft kommt erst einige Tage, teils auch erst Wochen später der Gedanke: „Mir ist etwas Schlimmes passiert“.
Ob sich die Person nachträglich für eine Anzeige entscheidet, ist jedoch auch dann noch nicht entschieden. Viele neigen dazu, das Geschehene einfach zu verdrängen. Vor allem dann, wenn das Opfer das Gefühl hat, sich niemandem anvertrauen zu können.
Doch viele Betroffene schämen sich auch für das, was ihnen passiert ist. Das heißt, auch wenn der Bezug zu Vertrauenspersonen besteht, so fällt es vor allem jüngeren Menschen schwer, sich gegenüber diesen Vertrauenspersonen oder auch der Polizei zu öffnen.
Denn in jungen Jahren ist das Thema der Sexualität kein Thema, über das man gerne mit den eigenen Eltern oder gar mit „fremden“ Meschen, wie der Polizei redet. Hinzu kommt, dass sich die Opfer selbst die Schuld geben oder sich von Kommentaren wie „selbst schuld, wenn sie so ein knappes Outfit angezogen hat“, welche in sozialen Netzwerken kursieren, beeinflussen lassen.
Es kommt auch noch ein weiteres Gefühl hinzu: Ekel. Nach einem sexuellen Übergriff entsteht für die Betroffenen oft der dringende Wunsch nach einer gründlichen Reinigung unter der Dusche. Sich die Tat zumindest „vom Körper waschen“ zu wollen ist wohl verständlich, jedoch ist dies nicht in jedem Fall ratsam. Sobald es zu körperlichem Kontakt zwischen Opfer und Täter gekommen ist, ist eine vertrauliche Spurensicherung empfehlenswert. Zu diesem Zweck gibt es oft Stellen, die unabhängig von Polizei und Staatsanwaltschaft arbeiten, so dass durch die Dokumentation Zeit verschafft wird, bis das Opfer sich für oder gegen eine Anzeige entschieden hat.
Das Verhältnis zum Täter
Missbrauch findet vor allem im nahen sozialen Umfeld statt. Rund 70 Prozent der Vergewaltigungen oder des sexuellen Missbrauchs passiert in der eigenen Wohnung. So die BKA-Dunkelfeldstudie mit dem Titel "Sicherheit und Kriminalität in Deutschland". Oft sind es die eigenen Angehörigen, der eigene Partner, Freunde und Bekannte oder auch Mitarbeitende in Bildungs-, Sport- und Freizeiteinrichtungen.
Daher ist das Verhältnis zum Täter der zweite bedeutende Grund, weshalb sich das Opfer oftmals gegen eine Anzeige entscheidet.
Es besteht die Angst, die Beziehung zu einem Partner oder zu seiner eigenen Familie durch die Anzeige zu zerstören – aber auch die Angst vor der Person selbst. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Betroffenen in solchen Fällen meist mit ihren Tätern noch zusammenleben. Daher zieht die Entscheidung für eine Anzeige zwingend weitere Konsequenzen mit sich. So zum Beispiel die Entscheidung für eine Trennung vom Partner, für einen Auszug aus der gemeinsamen Familienwohnung, aber natürlich auch positiv für einen Ausbruch aus der Gewalt.
Aussage gegen Aussage
Der letzte Grund ist die oftmals unsichere Beweislage. Dies ist ein kritischer Punkt bei sexualisierter Gewalt, denn oftmals steht es Aussage gegen Aussage. Es gestaltet sich im Einzelfall schwierig für die Behörden, nachzuvollziehen, wie die Tat genau abgelaufen ist. Helfen kann zum einen die oben bereits erwähnte vorläufige Spurensicherung, aber auch das Schreiben eines Gedächtnisprotokolls. Dies sollte möglichst schnell nach der Tat geschehen, denn oft schwindet die Erinnerung an Details mit zunehmender Zeit. Mithilfe des Gedächtnisprotokolls fällt auch die spätere Aussage leichter.
Zudem erleichtert seit 2019 die Videobefragung die Aussage, sollte es zu einem Prozess kommen. Denn seit 2019 ist es zumindest in Bayern Pflicht, dass die Aussagen des Opfers bei Gericht als Video aufgenommen und abgespielt werden können. Die Opfer müssen also nicht im Angesicht des Beschuldigten aussagen.
Quellen: faz.net, br.de, frauen-gegen-Gewalt.de, beauftragte-missbrauch.de