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Pädophilie als seelische Störung - Die Frage der Strafzumessung

Im konkreten Fall hat das Landgericht Bochum einen nicht vorbestraften 61-Jährigen Mann wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt einen Teilerfolg.
Bei dem Angeklagten besteht eine Pädophilie vom nicht ausschließlichen Typ. Mit der Popularität des Internets begann der Angeklagte kinder- und
jugendpornografische Abbildungen zu konsumieren. Nach mehreren Hausdurchsuchungen im Jahr 2006 begab sich der Angeklagte freiwillig in eine sexualforenische Gruppentherapie. Seinem Verlangen konnte der 61-Jährige jedoch nicht standhalten, sodass er nach dem Ende der Therapie den Konsum erneut aufnahm. Des Weiteren knüpfte er über das Internet Kontakte mit 13 oder 14 J. alten Jungen, die er später auch persönlich traf, wobei es zu sexuellen Handlungen mit einem der Jungen kam. Zwischen 2018 und 2019 nahm der Angeklagte an einer weiteren Gruppentherapie mit anschließender Nachsorge teil. Nach einer erneuten Hausdurchsuchung, in der sein Computer beschlagnahmt wurde, schaffte sich der Angeklagte 2020 ein neues Gerät an. Hiermit beantwortete der Angeklagte auf einem Internetportal dem seinerzeit 12-Jährigen Si. eine sexualbezogene Frage. Der Lebensgefährte der Mutter des Si. übernahm im weiteren Verlauf die Rolle des Chatpartners, um einen vermeintlichen Sexualstraftäter zu überführen. In der Folgezeit übersandte der Angeklagte zehn Nachrichten mit sexualbezogenem Inhalt. Bei diesem handelte es sich in acht Fällen um die Beschreibung und Erörterung vorgestellter sexueller Handlungen. In einem anderen Fall übersandte der Angeklagte ein Lichtbild seines erigierten Penis. Inhalt des Chatverlaufs war außerdem ein zukünftiges Treffen, auf das der Stiefvater des Si., mit dem Ziel, den Angeklagten zu überführen, hinarbeitete. Er wandte sich dazu an eine ihm aus dem Internet bekannte Gruppe, die es sich zum Ziel gemacht hat, mutmaßliche Pädophile zu überführen. Die Gruppierung vermittelte einen Kontakt zu dem Zeugen P, der später zunächst das Videotelefonat führen sollte, sowie zu dem geplanten Treffen erscheinen sollte. Zu dem besagten Treffen kam es am 15.10.2021 in einer Wohnung, wo sich heimlich die Mutter und der Stiefvater des Si., sowie mehrere Personen der Gruppierung versteckten. Im Folgenden ging der Angeklagte von beischlafähnlichen Handlungen mit Penetration aus. Bevor es dazu kam, erschienen jedoch die in der Wohnung anwesenden Personen und stellten den Angeklagten zur Rede.
Das Landgericht wertete die Chatnachrichten jeweils als versuchten sexuellen Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind im Sinne des § 176a Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3, Abs. 3 S. 1 und 2, § 22 StGB. Die Tat vom 15.10.2012 beurteilte das Landgericht als versuchten schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176c Abs. 1 Nr. 2a, § 22, § 23 StGB. Dementsprechend verhängte das Landgericht Einzelstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Zur Schuldfähigkeit wird angenommen, dass die Paraphilie des Angeklagten die Voraussetzung einer schweren seelischen Störung als Eingangsmerkmal zu §20 StGB erfülle. Infolgedessen sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei erhaltener Einsichtsfähigkeit bei Begehung der Tat nicht aufgehoben, aber mit Sicherheit erheblich vermindert gewesen.
Die Strafzumessung weist mehrere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. So hat das Landgericht als Strafmilderungsgrund nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist. Des Weiteren wurde dem Angeklagten strafschärfend zu Last gelegt, dass er die Taten während der Nachsorge und im Anschluss an eine Therapie beging. Fragwürdig ist hierbei jedoch, inwiefern dies unrechts- oder schulderhöhend wirkt.
Auch die Maßregelentscheidung ist nach rechtlicher Nachprüfung nicht standhaft. Die Urteilsgründe begründen die Annahme, dass der Angeklagte die Taten im Zustand der eingeschränkten Schuldfähigkeit beging. Eine Pädophilie, wie sie unzweifelhaft bei dem Angeklagten vorliegt, kann im Einzelfall zwar das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung erfüllen und eine hierdurch erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit begründen, jedoch ist dafür erforderlich, dass die sexuelle Devianz den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert hat, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt, sondern bei der Begehung aus unwiderstehlichem Zwang heraus handelt.
Die im konkreten Urteil wiedergegebenen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen seien lückenhaft und daher nicht vollständig nachvollziehbar. Besonders im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose wurde nicht berücksichtigt, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Eine solche darf nur angeordnet werden, wenn rechtswidrige Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten sind. Dazu ist eine umfassende Prognose auf der Grundlage der Persönlichkeit des Täters heranzuziehen. Das Landgericht hat im vorliegenden Fall jedoch sämtliche prognoserelevanten Umstände nicht berücksichtigt.
Quellen: BGH, Beschl. v. 17.01.2023 - 4 StR 229/22