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Sexuelle Nötigung unter Ausnutzung des Opferzustandes

Zum Geschehen

Der Angeklagte und die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidende Nebenklägerin trafen sich kurz nach ihrem Kennenlernen in seiner Wohnung. Dort erzählte die Nebenklägerin dem Angeklagten von dissoziativen Zuständen, nicht feststellbar, wohl aber davon, dass diese häufig mit sexuellen Handlungen einhergehen. Weil sie davon ausging, den Angeklagten sonst zu verlieren, ließ sie sich auf sexuelle Handlungen ein, obwohl sie selbst nicht primär sexuelle Absichten hatte. Während des zunächst einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs fiel die Nebenklägerin in einen solchen, wie oben angesprochenen, dissoziativen Zustand. In einem solchen war sie nicht in der Lage, einen Willen hinsichtlich der sexuellen Handlungen zu bilden. Der Angeklagte bemerkte den Zustand der Nebenklägerin und unterbrach den Geschlechtsverkehr. Nachdem die Nebenklägerin wieder zu sich gekommen war, versicherte der Angeklagte ihr, dass sie bei ihm sicher sei und ihr nichts tun werde. Ob der Geschlechtsverkehr fortgesetzt werden soll, besprachen die beiden nicht. Sodann verfiel die Nebenklägerin erneut in einen dissoziativen Zustand, was der Angeklagte auch erkannte. Trotzdem übte er den vaginalen Geschlechtverkehr bis zum Samenerguss aus.

Das Landgericht hat den Tatbestand des §177 Abs.2 Nr.1, Abs.4, Abs.6 StGB als erfüllt angesehen, weil der Angeklagte während des zweiten dissoziativen Zustands den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin fortführte, obwohl im aufgrund des ersten dissoziativen Zustands bewusst war, dass die Nebenklägerin  nicht in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden. Die Beweisaufnahme habe keine vorherige Einwilligung der Nebenklägerin ,,erbracht’’, die über den Eintritt des dissoziativen Zustands fort gewirkt hätte. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

Die Feststellungen bilden keine Grundlage für eine Verurteilung nach §177 Abs.2 Nr.1, Abs.4 StGB, weil nicht rechtsfehlerhaft festgestellt wurde, dass der Angeklagte den Zustand der Nebenklägerin ausgenutzt hat.

Die Leitsätze der Entscheidung

Der Täter nutzt den Zustand des Opfer im Sinne des §17 Abs.2 Nr.1 StGB aus, wenn ihm die sexuellen Handlungen gerade erst aufgrund der besonderen Situation des Opfers gelingen. Die Unfähigkeit des Opfers, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, muss demnach die Vornahme der fraglichen Handlung ermöglichen oder zumindest begünstigen. Mithin ist an dem Begriffsverständnis des Ausnutzens auch im Hinblick auf §177 Abs.2 StGB nF festzuhalten. Der Reformgesetzgeber wollte die Strafbarkeit in erster Linie auf solche Fälle erweitern, in denen der Täter sich ohne Einsatz von Nötigungsmitteln über einen erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt. §177 Abs.2 Nr.1 StGB setzt jedoch die fehlende Möglichkeit des Opfers zur Willensbildung voraus. Auf einen- erkennbaren, entgegenstehenden Willen kann es in dieser Konstellation demnach nicht ankommen, sodass das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel keine Erweiterung des bislang über §179 StGB gegebenen strafrechtlichen Schutzes indiziert.

Ausgehend von diesen Leitsätzen hat der Angeklagte den Zustand der Nebenklägerin jedenfalls dann nicht tatbestandsmäßig ausgenutzt, wenn es vor dem zweiten dissoziativen Zustand erneut zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen ihm und der Nebenklägerin kam, weil diese dann nicht erst durch ihren Zustand ermöglicht wurde. Die vom Landgericht dazu getroffenen Feststellungen sind unklar. Es wird nicht deutlich, aufgrund welcher Umstände die Nebenklägerin erneut in einen dissoziativen Zustand fiel. Es ist nicht beweiswürdigend belegt, dass es zuvor zu keinen weiteren einvernehmlichen sexuellen Handlungen kam. Die Feststellungen erweisen sich an mehreren Stellen als lückenhaft, weil es insbesondere nähere Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten hinsichtlich seines Ausnutzungsbewusstseins bedurft hätte.

Quellen: NStZ 2024, 479

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