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Sperrwirkung §177 Abs. 6 S. 1 BGB: Wegweisende Entscheidung des BGH

Der konkrete Fall

Die 61-jährige Geschädigte und gleichzeitig Nebenklägerin befand sich gerade auf einem Spaziergang durch den Wald, als sie von dem Angeklagten mit einem Küchenmesser bedroht und anschließend vergewaltigt wurde.

Daraufhin hatte das Landgericht Nürnberg-Fürth diesen wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, sowie die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

Grundsätzlich: Strafrahmens des §177 Abs. 6 S. 1 StGB entfaltet Sperrwirkung

In §177 Abs. 6 S. 1 StGB heißt es: „In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen.“ Dann wird weiter in §177 Abs. 6 S. 2 Alt. 1 StGB ein Regelbeispiel aufgeführt: „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung)“. Der §177 Abs. 6 S. 1 enthält damit eine Legaldefinition der Vergewaltigung.

Aus dem Gesetz lässt sich also lesen, dass in besonders schweren Fällen des §177 StGB, zu welchen die Vergewaltigung gehört, der Täter nicht mit einer Freiheitsstrafe unter zwei Jahren bestraft werden darf. Damit entfaltet der vorgegebene Strafrahmen des §177 Abs. 6 S. 1 StGB eine Sperrwirkung.

Die Problematik des Falls

In dem oben aufgeführten Fall wurde der Täter wegen besonders schwerer Vergewaltigung verurteilt. Dieser Fall landete vor dem Bundesgerichtshof. In dieser jungen Entscheidung des BGH vom 14. Mai 2024 (6 StR 502/23) stellte dieser eine grundlegende Sache in der Frage der Sperrwirkung des Strafrahmens des §177 Abs. 6 S. 1 StGB im Verhältnis zum Strafrahmen des §177 Abs. 9 Var. 3 klar.

Dazu muss man wissen, dass der §177 Abs. 9 Var. 3 seinerseits eine mildere Strafrahmenregelung erhält. So sollen Täter, die einen Qualifikationstatbestand des Abs. 7 oder Abs. 8 erfüllen, weil sie zB. eine Waffe (Abs. 7 Nr. 1) mit sich führen, in minder schweren Fällen höchstens 10 Jahre Freiheitsstrafe bekommen. §177 Abs. 9 Var. 3 setzt dem Strafmaß also so gesehen einen „Deckel“ auf.

Die zentrale Frage in dem Fall war also, ob die Sperrwirkung des §177 Abs. 6 S. 1 StGB auch die Strafobergrenze betrifft. Der BGH stellt nun klar, dass die Sperrwirkung tatsächlich nicht nur die Mindeststrafe, sondern auch die Höchststrafe umfasse mit der Konsequenz, dass die mildere Strafrahmenregelung des §177 Abs. 9 Var. 3 StGB, die die Freiheitsstrafe deckelt, nicht zur Anwendung kommen kann, wenn der Täter einen Qualifikationstatbestand (zB. Mitführen einer Waffe) erfüllt hat.

Begründung des BGH

Die Entscheidung des BGH basiert auf dem Prinzip des gerechten Schuldausgleichs und der Vermeidung von Wertungswidersprüchen. Entscheidend für die Wertung des BGH spricht die Überlegung, dass das Rechtsinstitut der Sperrwirkung dazu dient, dem Täter aus seiner Schuld keine unbilligen Vorteile erwachsen. Der Täter darf also nicht davon profitieren, indem er durch zusätzliche Straftaten einen milderen Strafrahmen anstrebt. Die Klarstellung der Sperrwirkung des Strafmaßes dient also mithin auch dem Opferschutz und der Verhinderung von Fehlanreizen für Täter.

Auch betont der BGH in diesem Zuge die Bedeutung der Sperrwirkung in eben jenen Fällen, in denen mehrere strafverschärfende Tatbestände zusammentreffen. Dies hänge damit zusammen, dass die Regelbeispiele des §177 Abs. 6 S. 2 StGB – also u.a. die Vergewaltigung, ein selbstständiges Unrecht enthalten, welche jedoch nicht zwingen in den Qualifikationen der Abs. 7 und Abs. 8 enthalten ist.
Bei der Vergewaltigung liegt dieses Unrecht also beispielsweise in dem Vorwurf, dass der Täter den Beischlaf gegen den Willen des Opfers vollzieht. Die Qualifikationen des Abs. 7 oder die des Abs. 8 enthalten diesen Vorwurf und damit das spezifische Unrecht, dass der Täter bei einer Vergewaltigung verwirklicht, also nicht.

Abschließend lässt sich dieser Entscheidung des BGH eine wegweisende Bedeutung für die Praxis der Strafzumessung bei Sexualdelikten zusprechen.
Die wichtigsten Kernaussagen sind demnach, dass die Sperrwirkung des §177 Abs. 6 S. 1 umfassend ist und damit nicht nur die Mindeststrafe von 2 Jahren Freiheitsstrafe meint, sondern gleichzeitig auch die Höchststrafe betrifft.
Es muss in der Praxis bei der Beurteilung von Sexualdelikten mit Qualifikationstatbeständen also stets die umfassende Sperrwirkung des §177 Abs. 6 S. 1 StGB beachtet werden.

Quellen: ferner-alsdorf.de, blog.burhoff.de

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