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Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Irrige Annahme einer Zustimmung Geschädigter bei sexuellen Übergriffen

Bevor es zu einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kommt, muss eindeutig beurteilt werden, ob der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Tat in der Lage war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln oder ob diesem die Fähigkeit fehlt, das Unerlaubter seiner Tat zu erkennen. Erst danach kann eine Gefährlichkeitsprognose des Täters anschließen.

Im konkreten Fall hatte das Landgericht München die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision des Beschuldigten hat einen Teilerfolg. Das Landgericht München stellte fest, dass der Beschuldigte vermutlich seit 2018 an einer undifferenzierten Schizophrenie leidet. Infolge akuter Schübe seiner Erkrankung mit katatonen (ausgeprägte Störung der Willkürmotorik, die sich in einer unnatürlich, stark verkrampften Haltung des ganzen Körpers äußert) und paranoiden Ausprägungen, war der Beschuldigte bei drei sexuell motivierten Anlasstaten nicht in der Lage, das Unrecht seiner Taten einzusehen.

In den Anlasstaten ging es um Folgendes:

Am 15. September 2020 hielt der Beschuldigte die 16-Jährige Zeugin H an einer S-Bahnunterführung fest am Oberarm, um sie, mutmaßlich, gegen ihren Willen zu küssen. Erst als Passanten nahten, konnte diese fliehen. Am selben Tag manipulierte der Beschuldigte vor der Zeugin C an seinem entblößten Glied, mit dem Zweck der sexuellen Erregung. Dabei streckte er seine linkte Hand in Richtung der C, und zwar möglicherweise, um dadurch den Oralverkehr zu erzwingen. Am 12. Oktober 2020 berührte der Beschuldigte seinen erigierten Penis und fragte eine Passantin D, ob sie ,,ficken’’ wolle. Zusätzlich sahen zwei minderjährige Mädchen, wie der Beschuldigte an seinem entblößten Penis manipulierte.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §63 StGB stellt eine außerordentlich belastende Maßnahme dar, die aufgrund dessen nur angeordnet werden darf, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei der Behebung der Tat aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war. Darüber hinaus muss überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Täter infolge seiner fehlenden Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Eine solche Gefährlichkeitsprognose muss auf Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten entwickelt werden.

Im Sicherungsverfahren hat sich das Landgericht München auf das Fehlen der Einsichtsfähigkeit festgelegt. Fraglich ist jedoch, ob das Landgericht München die beiden verschiedenen Alternativen des § 20 StGB miteinander vermischt hat. So drängt sich nach den Ausführungen des psychiatrischen Gutachters der Verdacht auf, der Beschuldigte könne seinen Sexualtrieb nicht steuern und sei nicht in der Lage, die ihm aufsteigenden sexuellen Impulse zu unterdrücken, sodass eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit anzunehmen ist. Andererseits begründeten die Ausführungen, der Beschuldigte sei nicht in der Lage gewesen, die Ablehnung der Zeuginnen als Grenze einzusehen, die Annahme, dass der Realitätsbezug (und folglich die Einsichtsfähigkeit) des Beschuldigten schwer gestört gewesen sei. Dieser Widerspruch erweist sich als durchgreifend, zumal aus den Feststellungen des Landgerichts nicht deutlich wird, wie sich die psychische Erkrankung bei den Taten konkret auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.

Der eher allgemein gehaltene Begriff des fehlenden Realitätsbezugs vermag die konkrete Darstellung, was der Beschuldigte genau verkannt hat, nicht zu ersetzen. Im konkreten Fall ging es um eine Zustimmung Geschädigter bei sexuellen Übergriffen.

Auch die Gefährlichkeitsprognose in Bezug auf den Beschuldigten ist lückenhaft. Soweit das Landgericht München auf das sexuell übergriffige Verhalten des Beschuldigten abgestellt hat, sind solche Verfehlungen weder präzise noch im Strengbeweisverfahren zur tatgerichtlichen Überzeugung festgestellt.


Quellen: BGH, Beschluss vom 5.April 2022 - 1 StR 34/22 - juris

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